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„Neuer Kapitalismus“: Japans Regierung will der Gesellschaft zu einem Neustart verhelfen

Geschrieben von Whitebox-Redaktion | Apr 18, 2022 10:00:00 PM

Mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie ist Japan sehr viel schneller vorangekommen als viele andere Industrieländer. Nun sucht die Regierung unter dem neuen Premierminister Fumio Kishida auch nach einem Ausweg aus der seit Jahrzehnten anhaltenden wirtschaftlichen Schieflage. Ein 430 Milliarden Euro-Hilfsprogramm soll die Versprechen aus Kishidas Wahlkampf einlösen – und den Weg für einen „neuen Kapitalismus“ ebnen.

Ein neuer Trend etabliert sich in Japan: Robotermode. Die Palette reicht von Überzügen für industrielle Roboterarme bis hin zu Pullovern, Kostümen oder Uniformen für Kommunikationsroboter. Es ist kein Zufall, dass diese Idee besonders in dem ostasiatischen Inselstaat viele Anhängerinnen und Anhänger findet. Die Vermenschlichung von Robotern hat hier schon seit Jahrzehnten Tradition – angefangen mit Actionfiguren bis hin zu den Tamagotchi-Computereiern.
Aber es verwundert, dass ausgerechnet das Land, das als einer der Wegbereiter der elektronischen und digitalen Unterhaltungsindustrie gilt, noch immer Probleme mit der Digitalisierung seines öffentlichen und privaten Sektors hat. Auch der Umstieg auf CO2-freie Technologien, Reformstau sowie die über-bordende Bürokratie und die Überalterung der Gesellschaft gehören weiterhin zu den unbewältigten Herausforderungen Japans. Allein 2021 schrumpfte die Bevölkerung im Durchschnitt um mehr als 2.000 Personen am Tag.

Hohe Preissteigerungsraten: Umsatteln auf Inflationsschutz?

Spirale aus niedrigen Zinsen, Reformstau und wirtschaftlichen Verlusten

Außerdem kämpft das Land seit Jahrzehnten mit einem geringen Wirtschaftswachstum und einer unter dem Ziel seiner Zentralbank liegenden Inflationsrate: Um gegen Ende der 1980er Jahre Bankenzusammenbrüche und eine Depression der Wirtschaft zu vermeiden, senkte die Bank of Japan immer wieder die Zinsen. Dies hatte den gewünschten Erfolg, hielt aber auch zahlungsunfähige Unternehmen am Leben und verhinderte die Abschreibung notleidender Kredite.
Diese Unterstützung verschlang große Summen an Steuergeldern und blockierte Investitionen, die die Konjunktur in Schwung gebracht hätten. Die Folge: Das Wirtschaftswachstum stagnierte. Die Inflation ging zurück, weil sich Unternehmen und Arbeitnehmer aus Angst vor Absatz- und Arbeitsplatzverlusten nicht mehr trauten, höhere Preise und Löhne zu verlangen. Die Folge waren realwirtschaftliche Verluste: 2012 betrug das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt (kurz BIP) pro Kopf mehr als 49.000 US-Dollar – 2020 waren es nur noch knapp 41.000 US-Dollar. Für 2022 wird ein ähnlicher Wert prognostiziert.

Innovative Branchen – weltweit erfolgreiche Unternehmen

Dabei ist Japans Wirtschaft überaus divers und die Unternehmen des Landes weltweit erfolgreich. Mit mehr als 32 Prozent des BIPs ist der Dienstleistungssektor der größte Wirtschaftszweig des Landes. Zu seinen wichtigsten Branchen gehören neben Immobilien und Einzelhandel vor allem Telekommunikation und Transport sowie Banken und Versicherungen. Einige japanische Dienstleistungsunternehmen wie Japan Airlines, Mitsubishi Estate, Nomura und Softbank zählen zu den größten weltweit.
Das verarbeitende Gewerbe steht für etwa 20 Prozent des BIPs. Aufgrund seiner hohen technologischen Innovationskraft gilt Japan als einer der führenden Hersteller von Automobilen, Halbleitern, optischen Medien und Unterhaltungselektronik. Unternehmen wie die Autobauer Toyota, Honda und Nissan beliefern ebenso seit Jahrzehnten den Weltmarkt wie die Elektronikkonzerne Panasonic, Sharp und Sony.

Erfolgreiche Bekämpfung der Corona-Krise hilft Wirtschaft aus der Talsohle

Mit dem Jahr 2021 haben Japans Wirtschaftsaussichten begonnen, sich zu verbessern – wenn auch auf niedrigem Niveau: Laut einer Umfrage der Bank of Japan haben sich die Geschäftserwartungen der japanischen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen von ihren Tiefständen Mitte 2020 erholt. Die schneller als in anderen Ländern verlaufene Bekämpfung der Corona-Pandemie und die Aufhebung aller landesweiten Einschränkungen im Oktober 2021 haben auch die Stimmung der privaten Konsumenten aufgehellt. Der Internationale Währungsfonds (kurz IWF) rechnet für 2022 mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 3,3 Prozent. Die erwartete wirtschaftliche Erholung begründen die IWF-Expertinnen und -Experten mit einer starken politischen Unterstützung der Wirtschaft.

Neuer Premier setzt alte Maßnahmen fort und baut auf „neuen Kapitalismus“

Seit Anfang Oktober 2021 führt Japans neuer Premierminister Fumio Kishida die Regierungsgeschäfte. Seine Wirtschaftspolitik setzt vorerst weiter auf die lockere Geldpolitik und staatliche Konjunkturmaß-nahmen seines Vorvorgängers Shinzo Abe. Dafür hat die Regierung ein Paket von historischen Ausmaßen geschnürt: umgerechnet 430 Milliarden Euro. Das entspricht einem Zehntel der Wirtschaftsleistung der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt. Finanziert werden die Ausgaben durch Kredite. Damit vergrößert Japan seinen Schuldenstand auf 270 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: Griechenlands Staatsschulden betrugen im dritten Quartal 2021 201 Prozent des BIPs, in Deutschland waren es knapp 69 Prozent.
Mit dem Konjunkturpaket löst Kishida ein Wahlversprechen ein. Er hatte den fast 127 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern Japans einen „neuen Kapitalismus“ angekündigt, der die stark zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich verringern und sogar eine Verdopplung der Einkommen mit sich bringen soll.

Erste positive Signale

Nun unterstützt der Staat kleine und mittlere Unternehmen sowie Familien: Für jedes Kind erhalten sie knapp 800 Euro in bar (ausgenommen sind Besserverdienende). Außerdem belohnt das Konjunkturpaket Firmen, die ihre Beschäftigten besser bezahlen, mit Steuernachlässen. In der Kinderbetreuung, Kranken- und Altenpflege hat die Regierung direkte Lohnerhöhungen auf den Weg gebracht. Darüber hinaus appelliert der Premierminister an die Wirtschaft, bei Verhandlungen mit den Gewerkschaften deutlichen Einkommensverbesserungen zuzustimmen.

Die Signale aus der Politik scheinen zu greifen – zumindest vorerst: Der private Verbrauch soll 2022 um deutlich mehr als 3 Prozent wachsen. Die Investitionen nehmen zu, wenn auch zögerlich. In der Elektronik-, Halbleiter- und Automobilindustrie zieht die zunehmende Nachfrage bereits neue Investitionsprojekte nach sich. Außerdem hat die Regierung begonnen, mit der Schaffung einer eigens dafür errichteten Agentur die Digitalisierung des öffentlichen und des Privatsektors zu beschleunigen.

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