Finanzwissen

John Bogle: Sheriff der Wall Street

Geschrieben von Salome Preiswerk | Feb 3, 2019 11:00:00 PM

Jack Bogle - In memoriam

John Clifton alias „Jack“ Bogle gilt als „Vater der Indexfonds“. Er hat 1974 die Fondsgesellschaft Vanguard gegründet, mit der er die Investmentbranche von Grund auf verändern wollte. Am 16. Januar ist Bogle im Alter von 89 Jahren gestorben. Es wäre an der Zeit, dass auch deutsche Anleger ihn für sich entdecken. John Bogle ist in Deutschland nahezu unbekannt. In den USA galt er als einer der bedeutendsten und wichtigsten Menschen in der Finanzbranche. Das US-Magazin „Fortune“ kürte Bogle 1999 gemeinsam mit den Investmentgrößen Warren Buffett, Peter Lynch und George Soros zu einem der vier „Giganten des 20. Jahrhunderts“ in der Investmentbranche. Das Nachrichtenmagazin Time nahm ihn 2004 in seine alljährlich veröffentlichte Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt auf – in die Rubrik „Helden und Ikonen“, in der sein Name neben denen von Nelson Mandela, Bono, Mel Gibson, David Beckham oder dem Dalai Lama auftauchte. Die meisten anderen Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, wie Warren Buffett, die Fidelity-Präsidentin Abigail Johnson, Steve Jobs, Rupert Murdoch oder Sergei Brin und Larry Page, ordnete die Time-Redaktion der Rubrik „Erbauer und Titanen“ zu.

Vater der Indexfonds wurde auch „Sheriff der Wall Street“ genannt

„Bogles Geniestreich bestand in der Erkenntnis, dass die meisten Investoren – einschließlich der Manager von Publikumsfonds – eine schlechtere Performance erzielen als der Gesamtmarkt“, schrieb Eliot Spitzer in einer kurzen Würdigung, die er für die Times verfasst hatte. Nach Berücksichtigung der Transaktions- und Verwaltungskosten fielen Fondsinvestoren sogar noch weiter hinter den Markt zurück. Mit der Auflegung kostengünstiger Indexfonds habe Bogle es Anlegern ermöglicht, praktisch eins zu eins an der Marktentwicklung teilzuhaben. Spitzer war damals Generalstaatsanwalt von New York, sein hartes Vorgehen gegen missbräuchliche Praktiken in der Finanzbranche hatte ihm den Spitznamen „Sheriff der Wall Street“ eingebracht. Das erfolgreiche Wachstum von Vanguard zu einem Branchenriesen betrachtete er als Beleg dafür, dass es auch in der Finanzbranche möglich ist, Kunden fair zu behandeln und gleichzeitig erfolgreich zu sein. Genau dieser Aspekt der Fairness und Gerechtigkeit hat Bogles Berufsleben maßgeblich geprägt. Bereits in der 1951 vorgelegten Abschlussarbeit seines Studiums der Wirtschaftswissenschaften an der Princeton University befasste er sich mit den Entwicklungen der Investmentfondsbranche. Er zeigte, dass die Renditen der meisten damals verfügbaren US-Aktienfonds hinter der Entwicklung des Gesamtmarktes zurückgeblieben waren, und er vertrat die Auffassung, dass Kapitalanlagegesellschaften den Investoren „auf die effizienteste, ehrlichste und kostengünstigste Art und Weise“ dienen sollten, die möglich ist.

„Und wenn ich damals nicht gefeuert worden wäre, hätte es Vanguard nicht gegeben.“ Nach dem Studium schien es zunächst, als stünde Bogle eine steile Karriere in der etablierten Investmentbranche bevor: Er heuerte bei der angesehenen Fondsgesellschaft Wellington Management Company an, wurde ein überzeugter Verfechter aktiver Anlagestrategien und ersetzte 1970 den Unternehmensgründer Walter L. Morgan als Chairman. Nachdem eine von Bogle bereits 1966 eingefädelte Fusion mit einer anderen Investmentgesellschaft und sein anschließend eingeschlagener aggressiver Wachstumskurs scheiterten, kam es zu Streitigkeiten. Bogle musste seinen Posten als Chairman 1974 abgeben. Später bezeichnete er seine in dieser Zeit begangenen Fehler als „beschämend und unentschuldbar“ sowie als „einen Ausdruck von Unreife“ und überzogenes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Das Gute daran sei gewesen, dass er viel gelernt habe. „Und wenn ich damals nicht gefeuert worden wäre, hätte es Vanguard nicht gegeben.“

Bogle schuf bewusst einen Gegenentwurf zu den üblichen Fondsanbietern

Als Bogle 1974 unter dem Dach von Wellington eine neue Fondsgesellschaft gründete, schuf er bewusst einen Gegenentwurf zu den üblichen Fondsanbietern: Er hat Vanguard als Gegenseitigkeitsgesellschaft (mutual company) organisiert, die den von der Gesellschaft verwalteten Fonds und damit letztlich ihren Kunden gehört. Vanguard ist ausschließlich im Auftrag und im Sinne der eigenen Anleger tätig und muss nicht wie konkurrierende Fondsgesellschaften Gewinne erwirtschaften, um die Interessen von Aktionären oder anderen Eigentümern, wie Banken oder Versicherungsgesellschaften, zu befriedigen. Durch das Fehlen dieses Interessenkonflikts ist es möglich, die eigenen Fonds und Dienstleistungen zu äußerst günstigen Preisen anzubieten. Bogle war von der Bedeutung dieses Faktors für die langfristigen Anlageerfolge überzeugt und betrachtete niedrige Kosten als einen „ultimativen Wettbewerbsvorteil“ gegenüber den Konkurrenten. „Kosten sind ein Handicap auf dem Pferd. Wenn der Jockey viele Pfunde mehr mit sich herumträgt, ist es für das Pferd sehr schwierig, das Rennen zu gewinnen." Bogle verabschiedete sich zudem von seiner Vorliebe für aktiv verwaltete Fonds: 1976 brachte Vanguard den ersten öffentlich zugänglichen Indexfonds auf den Markt, der den S&P 500 Aktienindex abbildete. Die neue Strategie, die Bogle fortan mit vollster Überzeugung vertrat: Der Fonds sollte durchschnittliche Anlageergebnisse erzielen und aufgrund der niedrigen Kosten und Gebühren langfristig zu den Gewinnern gehören. „Kosten sind ein Handicap auf dem Pferd. Wenn der Jockey viele Pfunde mehr mit sich herumträgt, ist es für das Pferd sehr schwierig, das Rennen zu gewinnen", erläuterte er einmal in einem Interview. Intelligente Investoren würden mit kostengünstigen Indexfonds ein diversifiziertes Portfolio aus Aktien und Anleihen aufbauen und ihren eingeschlagenen Kurs konsequent beibehalten. Sie wüssten, dass sie den Markt nicht dauerhaft überlisten können. In der Anfangszeit stieß der neue Fonds bei Investoren auf wenig Interesse und manche Konkurrenten verspotteten ihn als „Bogles Unsinn“. Einige Kritiker bezeichneten es gar als „unamerikanisch“, die Performance des Aktienmarktes lediglich abbilden anstatt überbieten zu wollen. Bogle hielt unbeirrt an seinem Modell fest, das er für „strukturell korrekt, mathematisch korrekt und ethisch korrekt“ hielt. Schließlich gab der Erfolg ihm recht. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Samuelsen stellte den von Bogle eingeführten Fonds 2005 während einer Rede auf eine Ebene mit der Erfindung des Rads, des Alphabets und des Gutenberg-Drucks. Auch Investoren haben ihn schätzen gelernt: Unter seinem heutigen Namen „Vanguard 500 Index Fund“ gehört er mit einem verwalteten Vermögen von gut 400 Milliarden US-Dollar (per Ende Januar 2019) zu den größten Publikumsfonds der Welt.

Bogles Ziel war eine Branche mit Visionen und Werten

Doch Bogle ging es niemals nur um seinen persönlichen Erfolg oder den Erfolg seines Unternehmens. Er betrachtete Vanguard vielmehr als ein Modell, das die Richtung in eine bessere, vor allem am Wohl der Anleger ausgerichtete Zukunft der Finanzindustrie weisen sollte. Er wünschte sich „eine Branche, die sich auf ihre Verantwortung konzentriert – den umsichtigen Umgang mit dem Geld anderer Menschen“ ausschließlich in deren Interesse. Sein Ziel war „eine Branche mit Visionen und Werten: einer Vision der treuhänderischen Pflicht und des Dienstes für die Aktionäre sowie Werte, die auf den bewährten Prinzipien der langfristigen Geldanlage beruhen und auf einer treuhänderischen Verwaltung, welche Integrität im Dienste unserer Kunden erfordert“ (einen guten Überblick über seine Ideen enthält die Rede Designing a New Mutual Fund Industry, die Bogle im Februar 2007 gehalten hat). „Kurzfristig ist die Börse ein Casino. Auf lange Sicht ist sie kein Casino, sondern eine Maschine zur Zins- und Ertragsbildung, die bereits Einstein als das größte Wunder der Finanzgeschichte bezeichnet hat.“ Diese Vorstellungen gingen einher mit einem geradezu missionarischen Eifer und einer oft scharfzüngigen, meist sehr gut begründeten und fundierten Kritik an den herrschenden Verhältnissen in der Finanz- und Investmentbranche. Auf die Frage eines Journalisten, ob er die Börse für ein Casino halte, antwortete Bogle einmal wie folgt: „Kurzfristig ist die Börse ein Casino. Auf lange Sicht ist sie kein Casino, sondern eine Maschine zur Zins- und Ertragsbildung, die bereits Einstein als das größte Wunder der Finanzgeschichte bezeichnet hat.“ Für Investoren bestehe die Herausforderung darin, dass Aktivität „der Fluch der Wall Street“ sei: Die Transaktionen an der Börse schaffen keine Werte, sondern verschieben nur Werte von einem Besitzer zu einem anderen, und die „Croupiers der Wall Street“ zweigen jedes Mal einen kleinen Teil ab. Bogles zugespitzter Rat an Investoren lautete daher: „Betrachten Sie Investieren als langfristige Angelegenheit, die keinerlei Tradingaktivitäten beinhaltet.“ Bogles Gegner reagierten teilweise mit rüden Angriffen auf den vermeintlichen Nestbeschmutzer: Sie bezeichneten ihn als Kommunisten, Marxisten, Bolschewisten und calvinistischen Eiferer, beschimpften ihn als Verräter und Subversiven, der die Säulen des Kapitalismus mit unamerikanischem Geschwätz untergrabe. Bogle konterte solche Tiraden meist souverän. In einem Interview bezeichnete er sich einmal als „so konservativ, dass ich liberal bin. Ich möchte unsere Gesellschaft bewahren und deshalb gerade die Teile der Gesellschaft schützen, die nicht fair behandelt worden sind.“ Angesichts einer bevorstehenden Herztransplantation zog sich Bogle 1996 im Alter von 66 Jahren aus dem Tagesgeschäft zurück und sein langjähriger Mitstreiter Jack Brennan übernahm die Rolle des CEO. Als Bogle nach erfolgreicher Operation mit neuem Herzen und neuer Energie wieder in der Führungsriege von Vanguard mitmischen wollte, kam es zum offenen Streit. Bogle wurde im Top-Management der Gesellschaft zur Persona non grata und setzte seinen Kreuzzug für eine bessere Finanzbranche als Präsident des Bogle Financial Markets Research Center fort.

Bogle führte seinen Kreuzzug für eine bessere Finanzbranche ohne Vanguard weiter

Er schrieb mehrere Bücher und zahlreiche Aufsätze; in unzähligen Reden und Interviews trat er mit einer bisweilen an Sturheit grenzenden Hartnäckigkeit und Konsequenz als beredter Anwalt der Fondsanleger und Investoren auf. Dabei schreckte er nicht vor Kritik an seinen Nachfolgern bei Vanguard zurück, beispielsweise als diese begannen, börsengehandelte Indexfonds (ETF) zu emittieren. Bogle betrachtete ETFs skeptisch, weil sie Anleger seiner Ansicht nach zu kurzfristigen Spekulationen verleiten. Außerdem würden mittlerweile ganz unterschiedliche Anlagestrategien als hochpreisige ETFs angeboten, die bessere Ergebnisse versprechen als der Gesamtmarkt und damit seiner Philosophie widersprechen. Diese kritische Haltung hat ihm nicht nur Gegner, sondern auch zahllose Anhänger und Befürworter eingebracht. David Swensen, der das Stiftungsvermögen der Yale-Universität verwaltet und unter institutionellen Investoren Kultstatus besitzt, schrieb Bogle einst in einem Brief: „Ich möchte Ihnen für den enormen Einfluss danken, den Sie auf mein Leben hatten. Ihr mutiges Beispiel, sich das etablierte Finanzsystem vorzunehmen, um sich für den gewöhnlichen Anleger einzusetzen, inspiriert mich.“ „Im Grunde genommen entschied er sich dafür, auf ein riesiges Vermögen zu verzichten, um für Millionen von Menschen etwas Gutes zu tun.“ „Jack hätte ein Multimilliardär sein können, auf Augenhöhe mit Gates und Buffett“, lobte der Neurologe, Finanztheoretiker und Sachbuchautor William Bernstein, der auch Mitglied der „Bogleheads“ ist, einer Art Bogle-Fanclub privater Anleger. Stattdessen habe er ein Unternehmen gegründet, das den eigenen Kunden gehört und diesen seine Dienstleistungen so preisgünstig wie möglich anbietet. „Im Grunde genommen entschied er sich dafür, auf ein riesiges Vermögen zu verzichten, um für Millionen von Menschen etwas Gutes zu tun. Ich kenne in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte keine andere Story wie diese.“ Die US-Wirtschaftswebsite Business Insider schätzte Bogles Vermögen Anfang 2017 auf etwa 80 Millionen US-Dollar.

Warren Buffett bezeichnete Bogle als Held

Auch Warren Buffett ist bekennender Bogle-Fan. „Falls jemals ein Denkmal zu Ehren der Person errichtet wird, die am meisten für amerikanische Investoren getan hat, sollte die Wahl zweifellos auf Jack Bogle fallen“, schrieb die Investment-Ikone Anfang 2017 im turnusmäßigen Brief an die Aktionäre der Holdinggesellschaft Berkshire Hathaway. Dank Bogle hätten Millionen von Anlegern für ihre Ersparnisse weit bessere Renditen erhalten als es ohne sein Wirken möglich gewesen wäre. „Er ist ein Held für sie und für mich“, betonte Buffett. Die Redaktion des Time Magazins hatte ihm den Heldenstatus bereits 2004 zuerkannt.