ETF Blase: Mythen rund um ETFs
Aktive Fondsmanager, die ihr Geschäftsmodell von passiven Produkten bedroht sehen, behaupten gerne, Indexprodukte würden Kurseinbrüche an den Börsen verstärken. Eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zeigt allerdings, dass vor allem aktiv gemanagte Fonds und deren sprunghafte Anlegende Preistrends verschärfen.
Seitdem immer mehr Anlegende in börsengehandelte Indexfonds (ETF) und nicht-börsengehandelte Indexfonds investieren, wächst die Kritik an diesen passiven Produkten. Wer versucht, der diffusen Diskussion zu folgen, bekommt den Eindruck, egal was künftig an den Finanzmärkten schiefgehen wird, schuld sind auf jeden Fall Indexfonds und ihre wachsende Anhängerschaft. Auch für diverse Verwerfungen in der Realwirtschaft, die manche Schwarzmaler in unbestimmter Zukunft erwarten, sollen passive Fonds die Ursache sein. Die besonders verwegenen Propagandisten behaupten gar, Indexfonds würden die freie Marktwirtschaft als Ganzes bedrohen.
Auffällig an der mittlerweile kaum noch überschaubaren Fülle an Kritik sind vor allem zwei Punkte: Sie kommt fast ausschließlich aus dem Lager derjenigen, die mit aktivem Fondsmanagement ihr Geld verdienen. Diese Gesellschaften sehen ihre Existenz bedroht. Denn mittlerweile hat sich immer weiter herumgesprochen, dass aktive Fondsmanager meist Schiffbruch erleiden – zumindest auf längere Sicht. Der Versuch, mit der gezielten Auswahl von Wertpapieren, Käufen und Verkäufen (sog, Markt-Timing) zu den richtigen Zeitpunkten den Markt zu schlagen, geht in aller Regel schief. Ein Grund dafür sind die hohen Kosten von aktiv gemanagten Fonds.
Börsengehandelte und nicht-börsengehandelte Indexfonds sind erheblich günstiger. Sie kopieren die Wertentwicklung von Aktien- und Anleihenindizes – ein passives Konzept, mit dem Anlegende auf lange Sicht meist besser fahren als mit aktiven Fonds.
Anlegende ziehen massiv aus aktiv gemanagten Fonds ab
Diese Erkenntnis führt seit einigen Jahren zu dramatischen Veränderungen. Allein im März 2022 mussten aktiv gemanagte Aktienfonds 10 Milliarden Euro an Abflüssen von Kundengeldern hinnehmen. Passive Produkte verbuchten im gleichen Zeitraum hingegen Zuflüsse von fast 6 Milliarden Euro. Angesichts dieses Strukturwandels, der sich in rasantem Tempo fortsetzt, ist es wenig erstaunlich, dass Vertreter des aktiven Fondsmanagements mittlerweile wild um sich schießen.
Ihre Argumente – und das ist der zweite auffällige Punkt – sind allerdings selten fundiert. Bisweilen zeugen sie von tiefer Unkenntnis oder aber von einer bewussten Irreführung des Publikums – in der Finanzindustrie seit jeher ein probates Mittel zur Verkaufsförderung.
Ein Beispiel dafür ist die Behauptung, Indexfonds würden den Finanzmarkt destabilisieren. Sie würden Crashs verstärken, weil die wachsende Herde passiver Anlegender zeitgleich dieselben Aktien verkauft. Aktiv gemanagte Fonds dagegen „sind nicht automatisch zum Verkauf gezwungen, wenn als Folge fallender Kurse der Vermögenswerte im Fonds sich die Verkaufsaufträge häufen“, heißt es etwa in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Während ETFs Wertpapiere automatisch verkaufen müssten, falls Anlegende ihre Anteile abstießen, hätten aktive Fondsmanager eine Wahl. Es sei nicht davon auszugehen, dass alle dieselben Titel verkaufen. Außerdem verfügten aktive Fonds im Gegensatz zu ETFs über Liquiditätspolster, aus denen sie zunächst Anlegende bedienen könnten, die aussteigen wollten.
Was für unbedarfte Beobachter zunächst einleuchtend klingen mag, ist purer Unsinn. Zunächst einmal ist festzuhalten: Passive Fonds kaufen und verkaufen keine Wertpapiere, solange es keine Zu- oder Abflüsse von Kapital gibt. Ihr Portfolio passt sich automatisch an schwankende Gewichtungen innerhalb des jeweiligen Index an. Aktive Fondsmanager schlagen ihr Portfolio dagegen häufig um, in der Hoffnung, mit wechselnden Wertpapierpositionen überdurchschnittliche Renditen zu erzielen. Da sich aktive Fondsmanager oft zyklisch verhalten, also in Abschwüngen ihre Wertpapierpositionen verkleinern und mehr Cash halten, sind von Haus aus sie es, die eher zu einem Überschießen der Preise beitragen als passive Fonds.
Zudem zeigt eine Untersuchung der BIZ, dass das sprunghafte Verhalten von Anlegenden, die in aktiv gemanagte Fonds investieren, Kurseinbrüche verstärkt. Die Forscher untersuchten die Kapitalzu- und -abflüsse von Fonds während kleinerer Krisen in der jüngeren Vergangenheit, während denen entweder die Aktien- oder die Anleihenpreise oder beide fielen.
Was die Ökonomen zu Tage förderten, mag manche Kritiker von passiven Investments überraschen: Anlegende, die ihr Geld in nicht-börsengehandelte Indexfonds steckten, machten das, was kluge Investierende in Krisen tun: Sie unternahmen gar nichts, zogen so gut wie kein Kapital aus den Fonds ab. Das ist eigentlich nicht erstaunlich, weil klassische Indexfonds wegen ihrer niedrigen Kosten optimale Produkte für Buy-and-hold-Investierende sind, die bekanntlich langfristig anlegen. Sie ziehen sich bei Stress nicht aus dem Markt zurück und wirken dadurch stabilisierend.
Fallen die Kurse, laufen vor allem den aktiven Fonds die Anlegenden davon
Aktiv gemanagte Aktien- und Rentenfonds verzeichneten in den drei Stressperioden die größten permanenten Kapitalabflüsse. Anlegende, die in solche Fonds investieren, sind auf der Jagd nach überdurchschnittlichen Renditen und neigen offensichtlich dazu, während Kursabschwüngen ihr Geld prozyklisch abzuziehen. Hinzu kommen prozyklische Verkäufe der Manager, die versuchen, die Verluste des Fonds zu begrenzen. Dass das meist nicht funktioniert, steht auf einem anderen Blatt.
Die Geldflüsse in und aus ETFs sind volatiler als die von aktiv gemanagten Fonds. Auch das entspricht den Erwartungen. Denn weil ETFs fortlaufend an Börsen gehandelt werden, setzten viele Anlegende sie für aktive Handelsstrategien ein. Unter den ETF-Nutzenden befinden sich aber offenbar auch viele, die gegen den Trend handeln. Sie kaufen bei fallenden Kursen, während sich Anlegerinnen und Anleger aus aktiven Fonds weiterhin verabschieden. Dieses Verhalten führt dazu, dass sich die Zu- und Abflüsse von ETFs in Stressphasen über mehrere Wochen mehr oder minder ausgleichen.
Indexfonds haben keinen messbaren Einfluss auf Preistrends
Aus den unterschiedlichen Verhaltensmustern von Anlegenden und den Kapitalabflüssen aus klassischen Indexfonds, ETFs und aktiv gemanagten Fonds resultieren auch unterschiedliche Einflüsse auf die Kurse. Während die BIZ-Forscher nachwiesen, dass aktiv gemanagte Fonds Preistrends verstärken und das am Beispiel des internationalen Anleihenmarktes der entwickelten Volkswirtschaften belegen, haben ETFs und klassische Indexfonds keinen messbaren Einfluss.
Ein wesentlicher Grund für diesen Befund ist das erheblich größere Marktvolumen von aktiv gemanagten Fonds. Der weltweite Aktienmarkt war im Juni 2021 circa 115 Billionen US-Dollar wert. Nur etwa 8 Billionen US-Dollar davon entfielen davon auf Aktien-ETFs. Das sind weniger als 7 Prozent.
Ein weiterer Grund, dass aktive Fonds Druck auf Wertpapierpreise ausüben und ETFs nicht, sind nach Ansicht der BIZ-Forscher die unterschiedlichen Handelsabläufe, die hinter den Kapitalflüssen stehen. Aktive Fonds geben Anteile über Vermittler wie Banken an Anlegende aus. Für das Kapital, das ihnen zufließt, kaufen sie direkt Wertpapiere auf dem Finanzmarkt. Werden Anteile zurückgegeben, muss der Fonds Wertpapiere verkaufen, weil die Liquiditätsreserven gerade in Zeiten stark fallender Kurse meist nicht ausreichen, um alle Anlegenden auszuzahlen, die aussteigen wollen.
So funktioniert der Arbitragemechanismus von ETFs
Anders als aktive Fonds agieren ETFs nicht direkt auf den Wertpapiermärkten. Anlegerinnen und Anleger können keine Anteile an sie zurückgeben. Vielmehr läuft die Ausgabe und Rücknahme neuer Anteile über autorisierte Handelsfirmen an den Börsen. Nur diese sogenannten Authorized Participants (AP) haben direkten Zugang zu ETFs. Sie liefern dem Fonds die jeweiligen Werte des Index, den er abbildet, und erhalten dafür ETF-Anteile. Umgekehrt bekommt der Händler die Indexwerte, wenn er Anteile an den ETF zurückgibt. Die ETF-Anteile wiederum handeln Anlegende und Händler an der Börse oder außerbörslich über sogenannte OTC-Geschäfte (engl. over the counter).
Dieser Handelsmechanismus soll unter anderem dafür sorgen, dass sich der Börsenpreis eines ETF nahe an dessen Nettoinventarwert, dem sogenannten Net Asset Value (kurz NAV), bewegt. Der NAV entspricht dem aktuellen Marktwert aller im ETF enthaltenen Wertpapiere geteilt durch die Anzahl der ausgegebenen ETF-Anteile.
Gibt es beispielsweise im Börsenhandel mit einem ETF deutlich mehr Verkäufer als Käufer auf dem Markt, fällt dessen Börsenpreis unter den NAV. Für einen autorisierten Händler kann es sich dann lohnen, solange ETF-Anteile an der Börse zu kaufen und die Indexwertpapiere als Absicherung leer zu verkaufen, bis NAV und Börsenpreis wieder eng beieinander liegen.
Die ETF-Anteile gibt der Händler an den ETF zurück, wofür er die Indexwertpapiere erhält, mit denen er im Gegenzug die Leerverkaufsposition schließt. Der Gewinn des Händlers ist die Differenz zwischen dem Börsenpreis und dem Nettoinventarwert abzüglich seiner Transaktionskosten. Fachleute nennen dieses Ausnutzen von Preisdifferenzen Arbitrage.
Nur wenn Händler solche Arbitrage-Geschäfte abwickeln, bei denen neue ETF-Anteile ausgegeben oder vom Markt genommen werden, können sich diese Transaktionen auf die Preise der Indexwertpapiere auswirken, die ein ETF abbildet. Doch in der Praxis werden im Durchschnitt an lediglich 13 Prozent der Handelstage ETF-Anteile ausgegeben oder zurückgenommen. Meist gleichen sich Angebot und Nachfrage an der Börse so aus, dass sich Arbitrage-Geschäfte nicht lohnen.
Außerdem müssen die Handelshäuser Wertpapiere, die sie aus Rückgaben von ETF-Anteilen erhalten, nicht sofort wieder verkaufen. Es kann durchaus in ihr Gesamtrisikomanagement passen, diese Papiere für einige Zeit auf die eigenen Bücher zu nehmen.
Unterm Strich bleibt demnach festzuhalten: Nicht-börsengehandelte Indexfonds stabilisieren die Wertpapiermärkten in Zeiten stark fallender Kurse, während aktiv gemanagte Fonds Crashs verstärken. Der Einfluss von ETFs hängt von dem Verhalten der Authorized Participants ab.