Value-Aktien: In der Ruhe liegt die Rendite
Anleger, die auf niedrig bewertete Substanzwerte setzen, haben in den vergangenen Jahren Geduld gebraucht. Überdurchschnittliche Renditen, die sich in der Vergangenheit mit dieser Strategie erzielen ließen, sind fürs Erste ausgeblieben. Doch bisher folgten auf schlechte immer gute Jahre, die den Renditerückstand von Value-Aktien mehr als wettmachten. Die Frage nach dem Comeback von Substanzwerten ist ein Evergreen.
Viele Investoren fragen sich, ob und wann Value-Aktien jemals wieder ein Comeback feiern werden. Unter Fachleuten ist eine Debatte ausgebrochen, ob der Value-Faktor nun zu Grabe getragen werden müsse oder nicht. Kein Wunder, denn seit rund zehn Jahren hinken Value-Aktien nunmehr ihren Gegenstücken, den sogenannten Growth-Aktien, hinterher. Die aktuelle Durststrecke zeigt sich nicht nur in einzelnen Märkten, sondern ist an den meisten Börsen der entwickelten Industrieländer zu beobachten. Doch das ist kein neues Phänomen.
Value-Aktien: Langfristig brachten sie mehr Rendite als Growth-Titel
In den vergangenen zehn Jahren hinkten die Renditen des MSCI-World-Value-Index, der mehr als 850 niedrig bewertete Aktien aus 23 Ländern enthält, hinterher. Spürbar, doch nicht dramatisch: Die durchschnittliche Wertentwicklung von 6,61 Prozent pro Jahr war zwar sehr ordentlich, blieb aber um mehr als einen Prozentpunkt hinter dem MSCI-World-Index und 2,2 Prozentpunkte hinter dem MSCI-World-Growth-Index zurück.
Historisch betrachtet waren Value-Aktien Wachstumswerten jedoch überlegen. Das Center for Research in Security Prices (CRSP) an der University of Chicago Booth School of Business liefert eine langfristige Historie von großen Aktienindizes, die 1926 beginnen. In den USA erzielten Value-Aktien seitdem bis Ende 2017 im Schnitt eine Rendite von 13 Prozent pro Jahr. Growth-Aktien brachten es lediglich auf 9,5 Prozent jährlich und schnitten damit ähnlich wie der Gesamtmarkt ab. In Großbritannien war die Renditedifferenz zwischen Value und Growth im selben Zeitraum mit rund 5,5 Prozentpunkten pro Jahr noch deutlich stärker. Insgesamt haben die Finanzmarktforscher Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton den Value-Effekt in 20 von 23 untersuchten Ländern nachgewiesen – auch über kürzere und unterschiedliche Zeiträume.
Es gab aber immer wieder längere Phasen, in denen Value-Aktien schlechter abschnitten als Wachstumswerte. Das war etwa in den 1990er-Jahren der Fall, als Anleger Anteilsscheine an jungen Technologie- und Internetunternehmen bevorzugten und deren Preise in schwindelerregende Höhen trieben. Langfristig erfolgreiche Value-Investoren wie Warren Buffett, die sich von dem Run auf Wachstumswerte nicht mitreißen ließen und weiterhin auf unterbewertete Substanzwerte setzten, wurden damals ausgelacht. Zu Unrecht, wie sich später zeigte.
Denn im Jahr 2000, kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase, schlug die Stimmung an den internationalen Börsen wieder um. Bis 2007 entwickelten sich Value-Aktien erheblich besser als Wachstumswerte. Insgesamt haben sie seit dem Jahr 2000 die Nase vorn – trotz der Durststrecke der vergangenen Jahre. Auffällig ist, dass Value-Aktien Wachstumswerte während und nach Krisen am deutlichsten abhängten. Das war während der ersten Ölkrise ab 1973 der Fall und zu Beginn des neuen Jahrtausends, als sich die hohen Erwartungen in die jungen Internetunternehmen nicht erfüllten.
Was Value-Titel auszeichnet
Value-Aktien sind auf den ersten Blick nicht besonders aufregend. Meist handelt es sich um reife Konzerne mit etablierten Geschäftsmodellen, denen der Glamour und eine aufregende Wachstumstory fehlen. Diese Substanzwerte sind nach der klassischen Definition niedrig bewertet gemessen an Kennzahlen wie dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (kurz KGV) und dem Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV). Oft bieten Value-Aktien auch eine hohe Dividendenrendite. Ein Beispiel für einen typischen Value-Titel wäre der Penaten-Creme-Hersteller Johnson & Johnson aus den USA.
Wachstumswerte sind in der Regel hoch bewertet
Wachstumswerte werfen dagegen nach der klassischen Sichtweise gar keine Dividenden ab. Die Unternehmen finanzieren mit ihren Gewinnen stattdessen ihr künftiges Wachstum. Growth-Aktien sind in der Regel hoch bewertet, beispielsweise gemessen am KBV. Daran ist die Erwartung der Aktionäre geknüpft, dass die Gewinne künftig kräftig steigen werden. Bei Growth-Aktien handelt es sich oft um junge Technologie-Unternehmen. Zu den prominentesten Firmen im MSCI-World-Growth-Index gehören zurzeit Apple, Amazon, Facebook und Alphabet, die Muttergesellschaft von Google. Nicht ohne Ironie ist, dass auch die Beteiligungsgesellschaft des Value-Investors Warren Buffett, Berkshire Hathaway, von MSCI als Growth-Titel eingestuft wird und gemessen am Börsenwert zu den zehn größten Konzernen des Index zählt.
Moderne Variante der Value-Strategie
Nach unserer Auffassung und der von Morningstar Investment Management, unserem Partner im Portfolio-Management, ist die klassische Unterscheidung zwischen Value-Aktien und Growth-Aktien mittlerweile jedoch sowieso überholt. Grundsätzlich kann jede Aktie, jede Branche und jeder Markt unter dem jeweils fairen Wert gehandelt werden – unabhängig davon, ob es sich um ein klassisches Value- oder Growth-Segment handelt.
Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Pharmasektor, der traditionell als Wachstumsbranche gilt. Neue Produktentwicklungen beispielsweise im Bereich der Biotechnologie bieten das Potenzial für sehr hohe Gewinnsteigerungen. Unter anderem wegen einer restriktiveren Regulierung des Pharmamarktes ist dessen Bewertung jedoch unter den von uns taxierten fairen Wert gesunken. In solchen Fällen investieren wir als Value Investoren auch verstärkt in klassische Wachstumswerte. Umgekehrt ist es ebenso möglich, dass typische Value-Branchen nach unseren Bewertungsmodellen zu teuer werden. Aus solchen Segmenten ziehen wir uns dann teilweise oder ganz zurück. Ziel dieses differenzierteren Value-Ansatzes ist eine langfristige Rendite oberhalb des Marktdurchschnittes.
Die lange Erfolgshistorie spricht für den Value-Ansatz
Grundsätzlich existiert keine Anlagestrategie, die stetig überdurchschnittliche Gewinne abwirft. Es treten immer Phasen auf, in denen andere Strategien besser laufen. Das gilt auch für den Value-Ansatz. Wann es erneut zu einer Trendwende kommt, kann niemand genau vorhersagen. Nach Ansicht von Dimson, Marsh und Staunton werden sich auch künftig die Renditen von Value- und Growth-Aktien unterschiedlich entwickeln. Ob aber Substanzwerte auch weiterhin höhere Erträge liefern werden als Wachstumswerte, sei unsicher. Die Tatsache, dass der Value-Faktor seit den 1930-Jahren funktioniert und in vielen verschiedenen Aktienmärkten rund um den Globus nachgewiesen werden kann, spreche aber dafür.
Bei all dem bleibt: Wer heute darüber nachdenkt, die Strategie zu wechseln, sollte bedenken, dass der Erfolg von Warren Buffett auch auf seiner Unbeirrbarkeit fußt. Trotz Hohn und Spott blieb er in den 1990er-Jahren während des Dotcom-Booms seiner Value-Strategie treu – und das machte sich letztlich bezahlt. Denn: Erfolgreiche Value-Anleger haben einen langen Atem.