Zinssituation und Zinsentwicklung
Seit den 1990er Jahren ist in einigen entwickelten Volkswirtschaften wie den USA, der EU und Japan ein Trend zu rückläufigen nominalen und realen Zinsen zu beobachten. Doch nun zeichnen sich neue Entwicklungen ab: Die Zinsen steigen erneut an. Erfahren Sie in diesem Artikel mehr über die Entwicklungen von den 1990er Jahren bis heute, die aktuelle Zinssituation im Jahr 2023 und erhalten Sie eine Prognose für zukünftige Entwicklungen.
Zinsentwicklung 1990 bis heute
In den Industrieländern sind seit den 1990er Jahren längerfristige Abwärtstrends bei der Inflation und den nominalen Zinssätzen zu beobachten. Die IW-Ökonomen betonen, dass der Rückgang der nominalen Zinssätze seit 1990 auf sinkende Realzinsen bei gleichzeitig stabiler Inflation zurückzuführen ist. Trotz des Anstiegs im Vorfeld der deutschen Wiedervereinigung 1990 und im Sog der Turbulenzen an den internationalen Anleihemärkten 1994 waren die Kapitalmarktzinsen im Verlauf der 1990er Jahre insgesamt betrachtet eher niedrig. Das lag daran, dass die deutsche Geldpolitik frühzeitig aufkeimenden Inflationsgefahren begegnet war und damit Vertrauensverluste vermeiden konnte. In diesem Zeitraum sanken die langfristigen Realzinsen von 8 Prozent im Jahr 1992 auf 2 Prozent im Jahr 2016, während die kurzfristigen Realzinsen sogar negativ wurden.
In der ersten Hälfte der 1990er Jahre sanken die nominalen Kapitalmarktzinsen aufgrund verbesserter wirtschaftlicher Stabilitätsperspektiven. Infolgedessen verlangsamte sich der Preisanstieg 1995 kontinuierlich auf nur noch 1,7 Prozent. In den ersten zehn Monaten 1996 betrug er (auf ein Jahr hochgerechnet) 1,5 Prozent. Gleichzeitig habe die wirtschaftliche Dynamik nach dem Auslaufen des „Vereinigungsbooms“ spürbar nachgelassen.
Der starke Rückgang der Zinsen beschleunigte sich weiter durch die globale Finanzkrise im Jahr 2008: Mehrere Zentralbanken senkten die Zinssätze auf 0 Prozent und hielten die Zinsen für mehrere Jahre auf diesem tiefen Niveau. Vor dem Hintergrund der Euro-Krise kam es im Jahr 2012 zudem zu einer Flucht in die Sicherheit: Anleger zogen ihr Kapital aus riskanteren Anlagen ab und investierten verstärkt in als sicher geltende Anlagen. Vor allem in sicheren Ländern wie Deutschland sanken dadurch die Renditen auf sichere Anlagen und die nominalen Renditen von hochliquiden Staatsanleihen rutschten zum ersten Mal in der Geschichte ins Negative.
Als Folge des Niedrigzinsumfelds und der damit einhergehenden reichlichen Liquidität wurden Anlageklassen wie Aktien oder Immobilien beflügelt, denn Investoren befanden sich in einer Situation, in der traditionell sichere Anlagen wie Sparkonten und Anleihen nur geringe Renditen boten. Daher investierten Anleger ihr Geld vermehrt in Aktien, weil diese die Chance boten, höhere Renditen zu erzielen. Diese gesteigerte Nachfrage nach Aktien und anderen risikoreicheren Anlagen war damit eine direkte Folge der Bemühungen von Zentralbanken, die Wirtschaft anzukurbeln und die Liquidität im Finanzsystem zu erhöhen. Von dieser Entwicklung haben auch Anlageinstrumente wie ETFs profitiert. Nach Erhebungen von Statista hat sich das in ETFs veranlagte Vermögen von 417 Milliarden US-Dollar Anfang 2005 auf ein Volumen von 10,02 Billionen US-Dollar Ende 2021 weltweit erhöht.
Seit Beginn der Zinswende im Juli 2022 erlebten Tagesgeld und Festgeld ihr überraschendes Comeback. Bemerkenswerterweise hat die Europäische Zentralbank (kurz EZB) innerhalb eines erstaunlich kurzen Zeitraums, nämlich von Juli 2022 bis September 2023, den Leitzins von 0 Prozent auf 4,5 Prozent angehoben, um der hohen Inflation entgegenzuwirken und mittelfristig für den Euroraum eine Inflationsrate von 2,0 Prozent anzustreben. Es ist anzunehmen, dass weitere Banken in den nächsten Wochen ihre Zinsen für Sparerinnen und Sparer erhöhen werden.
Zinsentwicklung 2023
Am 27. Juli 2023 informierte die Europäische Zentralbank, dass trotz einer insgesamt leicht rückläufigen Inflationsrate weiterhin eine zu hohe Inflation verzeichnet wird. Die EZB prognostizierte, dass diese erhöhte Inflationsrate auch in absehbarer Zukunft anhalten werde. Am 14. September 2023 beschloss die EZB daher als Reaktion darauf eine weitere Erhöhung der Leitzinsen, bei der alle drei Zinssätze – der Hauptrefinanzierungszins, der Einlagezins sowie der Spitzenrefinanzierungszins – um jeweils 0,25 Prozentpunkte angehoben wurden. Dies ist bereits der zehnte Zinsschritt der Europäischen Zentralbank seit Beginn der Zinswende im Juli 2022. Damit liegt der wichtigste Leitzins im Euro-Raum nun bei 4,5 Prozent.
Die Federal Reserve (kurz FED) unterstrich während der Sitzung am 25. und 26. Juli 2023 ihr duales Mandat, das auf Preisstabilität und Vollbeschäftigung abzielt. Um ihr Ziel einer Inflationsrate von 2 Prozent zu erreichen, beschloss die FED daher am 26. Juli 2023 eine Anhebung der Leitzinsen auf 5,25 Prozent beziehungsweise 5,5 Prozent. In ihrer letzten Sitzung am 20. September 2023 beschloss die FED, die aktuellen Leitzinssätze beizubehalten. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Erwartung seitens der FED, dass ihre geldpolitischen Maßnahmen noch nicht ihre volle Wirkung entfaltet haben. Jedoch betonte die FED, dass die Leitzinsen in Zukunft steigen könnten, sollte die Inflationsrate weiterhin auf einem hohen Niveau verbleiben.
Die Entscheidungen der EZB und der FED sind von großer Bedeutung für die Finanzmärkte. Sparerinnen und Sparer können sich nun über mehr Zinsen freuen. Gleichzeitig bleibt jedoch die Inflationsrate weiter auf einem hohen Niveau: Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts lag diese in Deutschland im August 2023 bei +6,1 Prozent. Die steigenden Zinsen helfen also zumindest dabei, den Kaufkraftverlust etwas abzumildern – die Inflation schlägt man mit reinen Sparprodukten dennoch nicht.
Zinsentwicklung: Prognose
Die Europäische Zentralbank hat kürzlich ihre Prognosen für die Inflationsrate und das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone bis zum Jahr 2025 veröffentlicht. Diese Prognosen bieten Einblicke in die wirtschaftliche Zukunft der Eurozone, werfen jedoch auch Fragen auf. Die EZB geht davon aus, dass die Inflationsrate in den kommenden Jahren abnehmen wird. Für das Jahr 2023 prognostiziert sie eine Inflationsrate von 5,6 Prozent, gefolgt von 3,2 Prozent im Jahr 2024 und 2,1 Prozent im Jahr 2025. Diese Prognosen deuten auf eine allmähliche Entspannung der Inflation hin. Es ist jedoch wichtig, solche Prognosen mit Vorsicht zu genießen, da die wirtschaftlichen Entwicklungen von vielen Faktoren abhängen und Unsicherheiten bestehen.
Auch ihre Wachstumsprognosen für die Euro-Zone hat die EZB für die kommenden Jahre nach unten korrigiert. Im Jahr 2023 wird lediglich ein Wachstum von 0,7 Prozent erwartet, gefolgt von 1,0 Prozent im Jahr 2024 und 1,5 Prozent im Jahr 2025. Diese niedrigeren Wachstumsraten weisen auf eine Herausforderung für die wirtschaftliche Erholung in der Euro-Zone hin. Die Gründe für diese gedämpften Wachstumsaussichten sind vielfältig, dazu zählen Faktoren wie die angespannte globale Wirtschaftslage, geopolitische Unsicherheiten und die noch immer spürbaren Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Auch die Prognose der FED sieht für das kommende Jahr eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums vor, wobei für 2023 ein Wachstum von 2,1 Prozent und für 2024 von 1,5 Prozent erwartet wird. Die FED hat ihrer letzten Sitzung außerdem darauf hingewiesen, dass die Verringerung der Inflationsrate vermutlich einer Phase des verlangsamten Wirtschaftswachstums bedarf.
Die EZB sowie die FED werden weiterhin eng überwachen, wie sich die wirtschaftlichen Bedingungen entwickeln, und bei Bedarf Maßnahmen ergreifen, um die Stabilität und das Wachstum in der Euro-Zone wie auch weltweit zu unterstützen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die wirtschaftlichen Realitäten tatsächlich entwickeln werden und welche politischen und geldpolitischen Entscheidungen in Reaktion darauf getroffen werden.
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